Das Symposium zu Grammatikalisierung, das 2015 in Mainz stattfand (s. Konferenzbericht) sowie das Erstellen des Questionnaires stellen die ersten wichtigen Schritte des MAGRAM-Projektes dar.
Im Questionnaire wird sowohl beschrieben, auf welche Weise Grammatikalisierungspfade in die Datenbank aufgenommen wurden, als auch, wie die aufgenommenen Pfade systematisch nach acht Grammatikalisierungsparametern bewertet wurden.
1. Beschreibung
Jeder Grammatikalisierungspfad wird beschrieben mittels eines Quellkonzepts und eines Zielkonzepts.
Für die Beschreibung des Quellkonzepts wurde stets die ursprünglichste, also erste belegte oder älteste rekonstruierte Form und Bedeutung verwendet, und für die Beschreibung des Zielkonzepts wurde die am stärksten ins grammatische System eingebundene Funktion verwendet.
Grammatikalisierung wird im Falle einer komplexen Konstruktion anhand des lexikalischeren Teiles ("Nukleus") der Quellkonstruktion bewertet (ähnlich dem "Konstruktionsmarker" nach Himmelmann 2005).
2. Parameter
Die Parameter, die vom Mainzer Grammatikalisierungsprojekt (MAGRAM) verwendet wurden fußen grundlegend auf den sechs Parametern der Grammatikalisierung, die von Lehmann (1995) beschrieben wurden.
Bei dessen Ansatz wurde Grammatikalisierung als Verlust der Autonomie sprachlicher Zeichen verstanden; dabei geht er von den drei Parametern Gewicht, Kohäsion und Variabilität aus, die er weiter in einen paradigmatischen und einen syntagmatischen Parametertyp aufspaltet.
Abb. 1: Grammatikalisierungsparameter nach Lehmann (1995) (modifizierte Darstellung).
Bei MAGRAM wurde "Structural Scope" aus praktischen Gründen nicht mitaufgenommen, und, wie in Abb. 1 zu sehen, wurde paradigmatisches Gewicht in Form (phonetische Reduktion) und Funktion (semantische Reduktion) aufgeteilt.
Dem wurden Parameter 7, Dekategorisierung (vgl. Hopper und Traugott 2003), und Parameter 8, Allomorphie, hinzugefügt.
Semantic integrity | Phonetic reduction | Paradigmaticity | Bondedness | Paradigmatic variability | Syntagmatic variability | Decategorization | Allomorphy |
Abb.1: Die bei MAGRAM verwendeten acht Grammatikalisierungsparameter.
3. Evaluierung
Für jeden Parameter wurden Werte zwischen 1 und 4 definiert, und so wurden jedem Zielkonzept acht Werte zugeordnet. Zusätzlich wurde mittels eines '+' oder '-' für jeden Parameter angegeben, ob sich der Wert vom Quellkonzept hin zum Zielkonzept verändert hat (+) oder nicht (-).
Im Folgenden wird beispielhaft die Werteeinteilung für den Parameter Phonetische Reduktion gezeigt:
Parameter 2: Phonetische Reduktion
1 Das sprachliche Zeichen besteht aus 2 oder mehr Silben
2 Das sprachliche Zeichen ist (i) ein monosyllabisches Wort oder (ii) eine volle Silbe ohne Wortstatus.
3 Das sprachliche Zeichen ist ein subsyllabisches Morphem.
4 Das sprachliche Zeichen ist zu einem suprasegmentalen Merkmal geworden oder verloren gegangen.
4. Datengrundlage
Die Daten für das Mainzer Grammatikalisierungsprojekt (MAGRAM) basieren auf den (Konferenz-)Beiträgen von 29 Experten für die von ihnen beschriebene Sprachgruppe, darunter Christian Lehmann als einer der Mitbegründer der Grammatikalisierungsforschung. Im Folgenden werden die Sprachen/Sprachgruppen und Autoren aufgeführt, die in die MAGRAM-Datenbank aufgenommen wurden:
Chinesisch (Sinitisch, Sino-Tibetisch): Linlin Sun und Walter Bisang
Hoocak (Sioux): Johannes Helmbrecht
Kreolsprachen & Pidgins: Susanne Michaelis und Martin Haspelmath
Kuschitisch/Beja (Afroasiatisch): Martine Vanhoeve
Emai (Edoid, Niger-Kongo): Ronald P. Schaefer und Francis O. Egbokhare
Germanisch (Indogermanisch): Damaris Nübling und Luise Kempf
Hindi/Urdu (Indogermanisch: Indo-Arisch): Annie Montaut
Iranisch (Indogermanisch: Indo-Iranianisch): Agnes Korn
Irokesisch: Marianne Mithun
Japhug (Sino-Tibetisch: Rgyalrong): Guillaume Jacques
Koreanisch: Seongha Rhee
Lezgisch (Nordostkaukasisch): Timur Maisak
Manding (Niger-Kongo: Mande): Denis Creissels
Maya: Christian Lehmann
Bergland Ok (Papua-Neuguinea): Sebastian Fedden
Nyulnyulan (Australisch: Non-Pamanyungan): William B. McGregor
Quechua und Aymara: Willem F. H. Adelaar
Romanisch (Indogermanisch): Michela Cennamo
Slavisch (Indogermanisch): Björn Wiemer
Sulawesi (Austronesisch: Westliches Malayo-Polynesisch): Nikolaus P. Himmelmann
Tswana (Niger-Kongo: Bantu): Denis Creissels
Tungusisch (Transeurasisch: Manchu-Tungusisch): Andrej Malchukov
Uralisch: Juha Janhunen
Uto-Aztekisch: Zarina Estrada-Fernández
Yeniseisch: Edward Vajda